Fermentation: Die Kraft der Verwandlung
Ein Interview mit den Wissenschaftlerinnen hinter unseren neuen Joghurtalternativen.
Fermentation hat eine lange Tradition in der Konservierung und Zubereitung von Lebensmitteln. Sauerteigbrot backen, Kombucha brauen, Kimchi machen oder Gemüse einlegen - Fermentation ist überall. Aber was genau passiert beim Fermentieren? Und was unterscheidet pflanzliche von Milchfermentation? Wir wollen mehr über die Kraft der Fermentation erfahren und sprechen mit den beiden Menschen bei vly, die sich am besten damit auskennen: die Mikrobiologin und die Lebensmitteltechnologin, die unsere fermentierten Joghurtalternativen entwickelt haben – Anna und Gaba.Gabriela Biel, M. Sc. (links) & Anna Birke, Ph. D. (rechts) im vly Labor in Berlin.
Hi Anna & Gaba, ihr beide seid für unsere neuen und allerersten fermentierten Produkte verantwortlich. Bevor wir loslegen: Was ist euer fermentiertes Lieblingsessen?
Anna: Ich mag vor allem fermentierte Getränke wie Wasserkefir und pasteurisierten Kombucha. Kombucha wird durch die Fermentation von zuckerhaltigem Tee hergestellt. Wasserkefir entsteht, wenn in Wasser gelöste Zucker von Kefirkulturen fermentiert werden. Dazu kann man auch Früchte hinzufügen.
Gaba: Für mich sind es Sauerteigbrot und Himbeer-Kombucha. Normales Brot wird mit Backhefen hergestellt, während für Sauerteigbrot eine Starterkultur aus Milchsäurebakterien und wilder Hefe benötigt wird. Die Starterkultur wird also verwendet, um den Brotteig vor dem Backen zu fermentieren. Das Ergebnis ist ein etwas saureres und geschmackvolleres Brot.
Ihr arbeitet beide im Labor von vly. Eine von euch bei der Produktentwicklung und die andere im Team für Forschung und Innovation. Was sind eure Aufgaben dort?
Gaba: Ich bin Produktentwicklerin bei vly. Das bedeutet, ich formuliere und teste Hunderte von Prototypen, um ein Produkt zu entwickeln, das den Geschmack unserer Konsument:innen trifft. Außerdem habe ich einen Hintergrund in Mikrobiologie und fermentiere gerne zu Hause. Als es bei vly mit Joghurtalternativen losging, habe ich das Projekt übernommen.
Anna: Ich bin Mikrobiologin und arbeite als Fermentationswissenschaftlerin. Als ich zu vly kam, war mein erstes Projekt das Screening verschiedener veganer Starterkulturen und die Anpassung des Grundrezepts, um die Effizienz der Fermentation zu maximieren. Als Gaba die Entwicklung der Joghurtalternativen übernahm, wechselte ich von der Produktentwicklung zur Durchführung und Koordinierung von Forschungsprojekten, die bei vly Innovationen im Bereich der Fermentation und Mikrobiologie vorantreiben.
💡 Was sind Starterkulturen? Starterkulturen sind mikrobielle Gemeinschaften, bei denen es sich in der Regel um Bakterien und/oder Hefen handelt. Bei Lebensmitteln werden sie einem Rezept hinzugefügt, um die Fermentation zu steuern. Die Grundzutaten können bereits Mikroben enthalten, aber durch die Zugabe einer großen Anzahl der richtigen Mikroben können die biochemischen Reaktionen, die während der Fermentation entstehen, zu einem gewissen Maß kontrolliert werden.
Damit wir besser verstehen, wie ihr die Joghurtalternativen entwickelt habt, könnt ihr uns erklären, was Fermentation eigentlich ist?
Anna: Einfach ausgedrückt, beschreibt Fermentation einen Prozess, bei dem entweder Zellen wie Mikroorganismen oder Enzyme, sozusagen die Arbeitskraft einer Zelle, verwendet werden, um Stoff A (zum Beispiel Zucker) in Stoff B (wie Milchsäure) umzuwandeln.
Joghurt ist ein gutes Produkt, um zu veranschaulichen, wie das funktioniert. Man beginnt nämlich mit Milch und nutzt die Kraft der Fermentation, um sie in Joghurt zu verwandeln. Könnt ihr uns erklären, was da genau passiert?
Anna: Klar. Für unsere Joghurtalternativen haben wir sogenannte Milchsäurebakterien verwendet. Das sind Mikroorganismen, die bei der Fermentation von Lebensmitteln verwendet werden und einfache Zucker in organische Säuren wie Milchsäure umwandeln können. Dadurch schmecken die Joghurtalternativen sauer und frisch. Außerdem sorgt die entstehende Milchsäure für ein Absinken des pH-Werts, wodurch die cremige Textur entsteht, die für Joghurt so typisch ist. Das liegt daran, dass das Erbsenprotein ein Gel-Netzwerk ausbildet. Da die Bakterien den Zucker verstoffwechseln, also sozusagen „essen”, ist unsere Joghurtalternative am Ende fast völlig zuckerfrei. Der niedrige pH-Wert der Joghurtalternativen in Verbindung mit anderen Stoffen, die von diesen nützlichen Milchsäurebakterien produziert werden, sorgt dafür, dass sie außerdem lange haltbar sind.
Da die Bakterien den Zucker verstoffwechseln, also sozusagen „essen”, ist unsere Joghurtalternative am Ende fast völlig zuckerfrei.
Ihr habt zwei Jahre im Labor verbracht, geforscht und viel Zeit in die Fermentation und das Testen verschiedener Prototypen gesteckt. Dass die Entwicklung so arbeitsintensiv war, hat auch etwas mit dem Stand der Forschung zu tun. Im Bereich Milch und Milchprodukte wird schon seit Jahrzehnten geforscht. In der Arbeit mit pflanzlichen Proteinen noch nicht. Was ist denn der Hauptunterschied zwischen einem pflanzlichen Fermentationsprozess im Vergleich zur Milchfermentation?
Anna: Die größten Unterschiede liegen in der von uns verwendeten Basis. Bei Milchjoghurts dient klassisch die Milch als Basis. Bei unseren Joghurtalternativen ist das anders. Hier haben wir eine speziell entwickelte Milchalternative aus Pflanzenprotein, Zucker und Pflanzenöl als Basis verwendet. Die Hauptkohlenhydratquelle in Milch ist Laktose. In unserer Milchalternative auf Erbsenproteinbasis ist Saccharose der für die Bakterien verfügbare Zucker. Außerdem sind die in der Milch enthaltenen Proteine, vor allem Kasein und Molke, strukturell ganz anders aufgebaut als die verschiedenen Proteine in Erbsen. Da Proteine für die Bakterien sehr wichtig sind, hat es einige Zeit gedauert, die Fermentationsbedingungen so zu optimieren, dass die Bakterien mit den Erbsenproteinen sozusagen zufrieden sind.
Da Proteine für die Bakterien sehr wichtig sind, hat es einige Zeit gedauert, die Fermentationsbedingungen so zu optimieren, dass die Bakterien mit den Erbsenproteinen sozusagen zufrieden sind.
Gaba: Dazu kommt, dass die Starterkulturen auf pflanzlicher Basis noch nicht vollständig an ein breites Spektrum verschiedener Arten von Pflanzenprotein angepasst sind, sodass die Fermentationszeit für Joghurtalternativen in der Regel länger dauert (bis zu 16 Stunden) als für Milchjoghurt (6-8 Stunden). Insgesamt ist die Fermentation von Joghurtalternativen bei der Säuerung etwas weniger effizient als bei Milchjoghurt. Wir mussten viele Versuche durchführen und unsere Zutatenliste optimieren, bis die Fermentation so effizient wie möglich ablief. Ich glaube, das haben wir gut hinbekommen.
Was würdet ihr sagen, war die größte Herausforderung bei der Fermentation?
Gaba: Die größte Herausforderung bestand darin, die Starterkulturen zum Wachsen zu bringen und die Nährstoffe aus unserer Basis zu nutzen. Außerdem führen verschiedene Starterkulturen zu unterschiedlichen Geschmacksergebnissen. Eine weitere große Herausforderung bestand also darin, Starterkulturen zu wählen, die den angenehmsten Geschmack hervorbringen und gleichzeitig den pH-Wert wirksam senken.
Anna: Die Textur war auch ein Problem, weil wir eine sehr neutrale Erbsenproteinquelle verwendet haben, die so extrahiert worden war, dass sie kein Gel-Netzwerk mehr ausbilden kann. Die meisten Joghurtalternativen auf dem Markt enthalten Stabilisatoren wie Pektine und Stärke. Wir waren jedoch überzeugt, dass wir auf diese Zusatzstoffe verzichten können. Am Ende haben wir es geschafft, aber es war ganz schön herausfordernd.
Die Ergebnisse sind auf jeden Fall super lecker geworden. Mithilfe von Fermentation kann man also Geschmack, Textur und auch die Haltbarkeit von Lebensmitteln verändern. Das hat bestimmt einen Einfluss auf die pflanzliche Lebensmittelindustrie. Was meint ihr, welche Rolle kann Fermentation in der Zukunft spielen?
Gaba: Fermentation stößt im Bereich der Entwicklung pflanzlicher Lebensmittel bereits auf großes Interesse. Das liegt an ihren zahlreichen Vorteilen - sie kann den Geschmack, die Textur, die Verdaulichkeit und die Nährstoffzusammensetzung verbessern. Was bereits jetzt im Gange ist und in Zukunft noch an Bedeutung gewinnen wird, ist die Präzisionsfermentation. Dabei werden Mikroorganismen zur Herstellung von Zielverbindungen wie Vitaminen eingesetzt, die dann gereinigt und zur Anreicherung von Produkten verwendet werden können.
Das liegt an ihren zahlreichen Vorteilen - sie kann den Geschmack, die Textur, die Verdaulichkeit und die Nährstoffzusammensetzung verbessern.
Anna: Ich persönlich bin davon überzeugt, dass Fermentation die Schlüsseltechnik für die zukünftige Sicherstellung unserer Ernährung ist. Und damit meine ich nicht die Herstellung von Kimchi, sondern biotechnologische Fermentation, wie die von Gaba erwähnte Präzisionsfermentationstechnologie. Sie wird es uns ermöglichen, unser Lebensmittelsystem so zirkulär wie möglich zu gestalten, hoffentlich von nicht nachhaltigen Rohstoffen wegzukommen, und uns dabei helfen, schmackhaftere pflanzliche Produkte herzustellen, die nährstoffreich, gesund und so vielen Menschen wie möglich zugänglich sind. Sie wird uns auch dabei helfen, den Übergang von einem hauptsächlich tierischen zu einem hauptsächlich pflanzlichen Lebensmittelsystem zu schaffen. Dieser Übergang ist für die Sicherung unserer Zukunft auf diesem Planeten aus mindestens zwei Gründen entscheidend: Klimawandel und globale Gesundheit. Ich bin sicher, die meisten Menschen sind sich bewusst, wie sich unsere Ernährungsweise auf die globale Klimaerwärmung und die damit verbundene Klimakrise auswirkt. Ich glaube aber, dass weniger Menschen sich bewusst sind, dass (Massen-)Tierhaltung auch die globale Gesundheit beeinflusst, und zwar auf mindestens zwei verschiedene Arten. Der erste Aspekt sind zoonotische Krankheiten, also Krankheiten, die durch Erreger verursacht werden, die von Tieren auf Menschen übertragen werden. Einfach ausgedrückt: Solange wir weiterhin Tiere halten und essen, werden wir auch ihre Krankheiten bekommen. Der zweite Aspekt ist das Auftreten und die Verbreitung von antimikrobieller Resistenz (kurz AMR), die eine ständige und zunehmende globale Gesundheitsbedrohung darstellt. Für alle, die mehr darüber lesen möchten, habe ich ein paar weiterführende Links zusammengestellt.
Sie wird es uns ermöglichen, unser Lebensmittelsystem so zirkulär wie möglich zu gestalten, hoffentlich von nicht nachhaltigen Rohstoffen wegzukommen, und uns dabei helfen, schmackhaftere pflanzliche Produkte herzustellen, die nährstoffreich, gesund und so vielen Menschen wie möglich zugänglich sind.
Danke für eure Zeit und die Einblicke in eure Arbeit. Zum Abschluss noch eine letzte Frage: Welcher unserer Joghurtalternativen ist euer Favorit, und wie esst ihr ihn am liebsten?
Anna: Erdbeere. Ich esse ihn am liebsten pur.
Gaba: Mango! Ich esse meinen mit selbstgemachtem Granola und Beeren. Er ist einfach perfekt sauer und super erfrischend, was an heißen Sommertagen toll ist. Und im Winter weckt er Urlaubserinnerungen. Er ist also eigentlich perfekt für jede Gelegenheit.
Wenn du mehr darüber erfahren möchtest, wie sich unsere Ernährungsgewohnheiten auf den Klimawandel und die globale Gesundheit auswirken, hat Anna ein paar Referenzen und Literatur für dich zusammengestellt:
- Wie sich Ernährungsgewohnheiten auf den Klimawandel auswirken: https://www.nytimes.com/interactive/2022/dining/climate-change-food-eating-habits.html
- Buchempfehlung: Über zoonotische Krankheiten und die Erreger, die sie verursachen: https://www.davidquammen.com/spillover
- Über AMR: https://www.who.int/news-room/fact-sheets/detail/antimicrobial-resistance.
- Über die komplexen Wechselwirkungen zwischen unseren Lebensmittelsystemen und neu auftretenden Infektionskrankheiten: https://www.nature.com/articles/s41893-019-0293-3.pdf